Pressebericht vom 28.10.2015

Menschen, geflüchtet nach Deutschland

2015-Menschen-gefluechtet-nach-Deutschland-im-LRA-DSCF9841„Wir haben keine Flüchtlingskrise, wir haben eine Krise der Flüchtlingspolitik.“ Mit dieser Feststellung eröffnete Anke Zimmermann, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Projektstelle gegen Rechtsextremismus in Bad Alexandersbad ihren Vortrag vor 150 Studierenden der Ober- und Unterkurse der Hofer Fachakademie für Sozialpädagogik. Drei Tage nahmen sich Lehrkräfte und Studierende Zeit, um das Thema „Menschen – geflüchtet nach Deutschland“ zu bearbeiten. Gemeinsam mit der Studierendenvertretung hatte eine Dozentengruppe das Programm ausgearbeitet, mit dem man in der Rückschau wohl genau den Nerv getroffen hatte: die Studierenden waren bis zum letzten Moment sehr motiviert, mit großem Eifer, aber auch mit kritischen Fragestellungen dabei.


In den vorausgegangenen Tagen hatten die Studierenden ihre Gedanken zu diesem Thema auf große Plakate geschrieben. Gemeinsam mit den Gedanken von jungen Flüchtlingen, die sich derzeit in Hof aufhalten, war dabei eine interessante Zusammenschau entstanden, ein repräsentativer Querschnitt von Meinungen und Ansichten. Gleichwohl in Teilen aber auch eine Zusammenschau von Vorurteilen und Behauptungen, die einer genauen Überprüfung nicht standhalten. Genau darauf ging Anke Zimmermann in ihrem Vortrag ein. Sie nahm Stellung zu den häufigsten Vorurteilen. So wies sie darauf hin, dass der Bundeshaushalt lediglich einen sehr geringen Anteil seines Gesamtvolumens für Flüchtlinge aufwendet, ein Vielfaches davon sei bisher beispielsweise in die Bankenrettung geflossen. „Das Land mit den meisten Flüchtlingsaufnahmen ist auch bei weitem nicht Deutschland, “ betonte die Referentin. „Pakistan, Iran, Libanon, Jordanien und die Türkei haben bislang viel mehr Menschen aufgenommen, als unser Land. Von den 60 Millionen Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden, ist nur ein kleiner Prozentsatz tatsächlich auf dem Weg nach Deutschland. Und viele davon wollen nicht dauerhaft bleiben!“ Fünfzig Prozent dieser Menschen bleiben kürzer als ein Jahr in Deutschland, vor allem die älteren Menschen kehren rasch in ihre Heimat zurück, sobald es die Situation und die Sicherheitslage vor Ort zulassen. Von den Millionen derzeit auf der Flucht befindlichen Syrern gelangt nur ein Bruchteil nach Europa. Die meisten sind in Nachbarstaaten von Syrien untergekommen und leben dort unter überwiegend prekären Bedingungen in Flüchtlingslagern.
2015-Menschen-gefluechtet-nach-Deutschland-Wertestern-DSCF9946„Woher bekommen wir unsere Informationen?“ fragte Zimmermann die aufmerksamen Zuhörer. „Sind wir kritisch?“ Sie stellte die Frage „Gestehen wir Menschen zu, bessere Lebensbedingungen haben zu wollen, oder teilen wir unreflektiert in `gute und schlechte` Flüchtlinge ein?“ Die Fakten zeigen, dass im Jahr 2014 insgesamt 173.072 Asylanträge gestellt wurden. Laut dem Königsteiner Schlüssel, der die Verteilung der Menschen auf die Bundesländer regelt, hat das Land Bayern 14,8 Prozent dieser Menschen aufgenommen. Am 31. Juli 2015 befanden sind 13.282 geflüchtete Menschen in 180 Lagern in Bayern, und aufgrund der sich ständig ändernden Rechtslage wird ihnen die viel beschworene Integration immer schwerer gemacht. Dazu kommt, dass in unseren Bundesländern völlig verschiedene Regelungen gelten, zum Beispiel bezüglich der Krankenversicherung. In Bayern gelte das Prinzip „Sachleistung vor Geldleistung“. Wenn man dann betrachtet, wieviel Bargeld ein Asylbewerber bekommt und welche Ausgaben von ihm erwartet werden, dann erkennt man rasch, dass diese Menschen existentielle Probleme haben.
Ein weiteres Vorurteil wurde von der Referentin entlarvt: „Im Umfeld von Flüchtlingen steigt die Kriminalität an, aber nicht von Seiten der Flüchtlinge, sondern wegen krimineller Übergriffe auf die Schutzssuchenden und ihre Herbergen. Allein 505 Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte habe es bis Oktober 2015 gegeben. Das zynische Vorgehen rechtsextremer Gruppen, mit dem die existierenden Ängste innerhalb der Bevölkerung weiter geschürt werden, sei hierfür mitverantwortlich. „Dass Asylbewerber im Moment Arbeitsplätze schaffen und bei prozesshaft möglicher Integration selbst welche bekommen, fördert unser Steueraufkommen und unseren Wohlstand. Wenn jetzt Häuser saniert und Menschen versorgt werden müssen, hat das die Wirkung eines Konjunkturprogrammes,“ so Zimmermann. Dass inzwischen jeder fünfte Steuerpflichtige in Deutschland einen Migrationshintergrund hat, sollte bereits im allgemeinen Informationsstand angekommen sein. Sie rief die angehenden Erzieherinnen und Erzieher dazu auf, sich gut zu informieren, stets Stellung zu beziehen bei Diskussionen und sich gesellschaftlich zu engagieren. In der Diskussion erläuterte Zimmermann neben vielen anderen Fragen die Auflösung der Begriffe „rechts“ und „links“. Aktueller sei die Klärung der Formen „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“, wobei derzeit ein Hauptproblem im Festhalten an „Etabliertenvorrechten“ läge, oftmals artikuliert in diffusen und unbegründeten Überfremdungsängsten. „Was wird für den Frieden in den vom Krieg betroffenen Ländern getan?“ fragte eine junge Studierende. Der Hinweis auf die politische Arbeit, auf Entwicklungshilfe, aber auch auf die Folgen der Waffenexporte und der Ausbeutung der Bodenschätze stießen bei dem mitdenkenden Publikum auf Verständnis.

Die Qual der Wahl hatten die Studierenden, als sie zwischen dreizehn Workshops wählen konnten. Von der Sicht der IHK auf die Flüchtlingssituation bis zur Traumaberatung, von der Betreuung unbegleiteter Minderjähriger bis zur Geschichte der Flüchtlingsströme in und nach Deutschland, von der Arbeit in Integrationsinitiativen und der Begleitung von Familien in Gemeinschaftsunterkünften bis zum gespielten interaktiven Einsatz zweier Völker, von der Arbeit mit jungen Geflüchteten in der Berufsschule und der Aufklärung über die rechtlichen Bedingungen eines Asylverfahrens – eine Menge an neuen Impulsen steckten in diesen Stunden.

Der nächste Tag gehörte dem Besuch des Hofer Museums Bayerisches Vogtland und der Ausstellung der Anne-Frank-Stiftung „Mensch du hast Recht(e)“ im Landratsamt Hof. Beide stellten spürbar Anreize dar, sich jeweils mit der eigenen Familienbiografie auseinanderzusetzen. Fachakademieleiter Pfr. Achim Schäfer ließ es sich nicht nehmen, die Gruppen durch beide Institutionen zu begleiteten, und er zeigte sich begeistert von den Möglichkeiten der ganz unterschiedlichen und doch thematisch miteinander verquickten Ausstellungen.

2015-Menschen-gefluechtet-nach-Deutschland-alle-im-Schlusskreis-DSCF9980„Und wie wollen wir leben?“ Diese Frage prägte den dritten und letzten Tag der Reihe. Im Rahmen einer Zukunftswerkstatt nach der Methode des Zukunftsforschers Robert Jungk (1913 -1994) begleitete Werner Köppel die Teilnehmer durch den Tag. Das Ergebnis bestand nach vielen Phasen der Auseinandersetzung in Kleingruppen aus dem Bekenntnis zur Wertediskussion. „Jeder von uns ist immer und überall gefordert, die Werte des Grundgesetzes und des christlichen Glaubens aktiv zu vertreten“, forderten die jungen Menschen und nahmen sich selbst dabei nicht aus. Nach der Schlussandacht wirbelten auf der Bühne der Sporthalle Arme und Beine durcheinander: junge Flüchtlinge im Alter von 15 bis 17 Jahren hatten Streetdance vorbereitet – so ging es schwungvoll in die wohlverdienten Herbstferien! Unterstützt wurden die drei Seminartage durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“, dessen Beauftragte und Mitwirkende demnächst in der Fachakademie an der Mozartstraße eine wichtige Demokratiekonferenz veranstalten.