Dr-Annete-HerrmannSeit dem 1. August 2015 gibt es in der Diakonie Deutschland das Stabsreferat „Berufliche Bildung und Qualifizierung in Sozialen Berufen“, welches im Vorstandsbüro Sozialpolitik unter Frau Maria Loheide angesiedelt ist. Das Stabsreferat bündelt handlungsfeldübergreifend Grundsatzfragen der Beruflichen Bildung und Qualifizierung für die Diakonie Deutschland, vernetzt Bildungsträger und Bildungsinstitutionen und identifiziert neue Bildungsbedarfe. Wenn es aus Sicht von Mitgliedern Bildungsbedarfe gibt, aber noch kein Dritter diese Leistung erbringt, werden auch eigene Bildungsimpulse organisiert, möglichst in Kooperation mit anderen Bildungsträgern.
Dr. Annett Herrmann ist die Geschäftsführung des Bundesverbandes der evangelischen Ausbildungsstätten für Sozialpädagogik (BeA) und leitet das Stabsreferat „Berufliche Bildung und Qualifizierung in Sozialen berufen“ im Evangelischen Bundesverband – Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.

Heute erläutert Annett Herrmann in einem Interview die Aufgaben und Angebote des Stabsreferates und nennt erste Produkte, die gerade erarbeitet werden.

Sehr geehrte Frau Dr. Herrmann, was ist auf den Punkt gebracht, die wesentliche Aufgabe Ihres Stabsreferates?
Das Stabsreferat „Berufliche Bildung und Qualifizierung in Sozialen berufen“ gewährleistet im Wesentlichen die Aufgabe, die Förderung der Mitglieder bezüglich der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung zu betreiben. Sie ist dabei nicht allein operativ zuständig, sondern kooperiert mit den diesbezüglich tätigen Mitarbeitenden des Verbandes. Die Stabsstelle fördert interne sowie externe Vernetzungen zwischen den verschiedenen Arbeitsfeldern der Diakonie Deutschland und den Bildungsinstitutionen.

Was können dabei konkrete Aufgaben sein, derer sich das Stabsreferat annimmt?
Konkrete Aufgaben können beispielsweise Schulungen, Fachtagungen und Vorträge sein, die auf ein spezielles – aktuelles und/ oder brisantes – Thema der beruflichen Bildung und Qualifizierung abheben. Ebenso spielt der Aufbau eines Bildungsnetzwerkes eine gewichtige Rolle. Im Kern geht es um eine strategische Ausrichtung des Bereichs der Beruflichen Bildung mit Blick auf lebensbegleitenden Lernens, um die Gestaltung einer evangelischen Bildungslandschaft, die es versteht Menschen für die Berufe des Sozial- und Gesundheitswesen nachhaltig zu begeistern.

Gibt es ein aktuelles oder brisantes Thema, das sich das Stabsreferat in 2016 auf den Plan schreibt?
Ja auf jeden Fall! 2016 steht ganz im Zeichen der Kompetenzorientierung. Die Berufliche Bildung und Qualifizierung ist einem Paradigmenwechsel unterworfen, der massiv auf die Aus-, Fort- und Weiterbildung Einfluss nimmt sowie auf die Personalverantwortung. Hier Leitfäden und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, ist außerordentlich wichtig; wichtig für den Verband und für seine Träger. Ebenso ist, wenn Sie so wollen, eine kompetenzorientierte Strategie auch relevant, um die Arbeit im Sozial- und Gesundheitswesen attraktiv für junge Menschen und Quereinsteigende zu gestalten. Fachkräfte werden im Bereich der sozialpädagogischen und pflegerischen Berufe nicht vom Himmel fallen.

Ist die Kompetenzorientierung tatsächlich relevant für die Träger und Einrichtungen der Diakonie?
Im Grunde genommen sollte sie bereits als Thema in aller Munde sein. Die Kompetenzorientierung ergibt sich aus dem Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR). Der DQR wirkt zunächst wie ein theoretisches Regelwerk, das kaum praktische Bezüge herstellt und elfenbeinturmgleich über den Wolken der Praxis rankt. Jedoch ist dieser erste Eindruck ein Trugschluss. Der DQR wird mit seiner Einführung im März 2013 für alle relevant, die als Personalverantwortliche(r) zuständig für Personalauswahl und Personaleinstellung sind, da die bisherigen Zeugnisse und Zertifikate durch Kompetenzbeschreibungen und Niveaufestlegungen ergänzt werden. Die Einführung des DQR erfordert kompetenzbasierte Beschäftigungs- und Anforderungsprofile; kompetenzorientierte Anforderungsprofile erfordern veränderte Stellenbeschreibungen und Stellenausschreibungen.

Und im Bereich der Fort- und Weiterbildung?
In der Fort- und Weiterbildung geht es nicht mehr darum, was als Lernziel erreicht werden soll, sondern was als Lernergebnis sichtbar wird. Langfristig sind Fort- und Weiterbildungsangebote einer der acht Niveaustufen des DQR zuzuordnen. Gegebenenfalls sind Qualifizierungsangebote einem Anerkennungsverfahren zu unterziehen und es werden Zertifikate notwendig, aus denen der jeweilige Kompetenzerwerb ablesbar ist. Ebenso soll mit dem DQR ein Instrument geschaffen werden, welches zukünftig auch die Kompetenzen erfasst, die außerhalb formaler Bildungsabschlüsse erworben werden. Fachkompetenz und personale Kompetenz sollen dabei angemessen gewichtet als auch Aufstiege und Übergänge erleichtert werden. Kurz gesagt: Auf jeden Fall werden neue Arten von praxisnahen (kompetenzorientierten) Qualifikationsbeschreibungen sowie neue Zeugnis- und Zertifikatszusätze erforderlich.

Die Herausforderung zeigt sich demnach in der Verzahnung von beruflicher Bildung und Personalverantwortung?
Ganz genau. Das trifft den Punkt. Berufliche Bildung und Personalverantwortung werden über die Kompetenzorientierung enger miteinander verbunden als bisher. Die Kompetenzfrage kann dabei als elementare Frage verstanden werden. Kompetenzorientierung betrifft ebenso die Fachkräftegewinnung von morgen als auch die Personalkonzepte der Zukunft.

Was sind weitere Themen, mit denen sich das Stabsreferat auseinandersetzen wird?
Es gibt verschiedene thematische Bausteine, die die Stabsstelle anbietet bzw. für die Träger und Einrichtungen und deren Bundesverbände entwickelt.

Ein Baustein sind kompetenzorientierte Ausschreibungen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Hierzu gibt es bereits ein Angebot, dass die Stabsstelle zusammen mit der Fachhochschule der Diakonie entwickelt hat und welches im Format eines Fachtages von den einzelnen Arbeitsfeldern und Fachverbänden der Diakonie RWL angefragt werden kann.
Ein zweiter Baustein ist die Entwicklung eines Leitfadens, der sich mit der Personalverantwortung und der Kompetenzorientierung auseinandersetzt. Hier wird gemeinsam mit Expert_innen der Personalarbeit eine Broschüre entwickeln, die sich mit den Themen arbeitsplatzbedingter Kompetenzanforderungen, kompetenzorientierten Stellenbeschreibungen und mit der kompetenzorientierten Personalverantwortung und Personalentwicklung beschäftigen wird. In 2017 ist hierzu eine Fachtagung geplant.

Ein dritter Baustein wird sich ab 2017 mit den Bereichen des non-formalen und informell erworbenen Kompetenzbereiches beschäftigen. Hier ist eine Zusammenarbeit mit den Arbeitsfeldern der Behindertenhilfe, der Freiwilligendienste, des Ehrenamts und des Arbeitsbereiches Kur und Erholung angedacht.
Ein vierter Baustein erarbeitet ab 2017 ein Diakonisches Gütesiegel für die Fort- und Weiterbildung.

Sie sagten, dass es auch um ein Bildungsnetzwerk gehen soll.
Richtig. Neben den gerade beschriebenen Bausteinen geht es auch um die Etablierung eines Bildungsnetzwerkes, um erstens gekonnt Bildungsthemen zu bearbeiten, ob arbeitsfeldspezifisch oder arbeitsfeldübergreifend, und um zweitens Synergieeffekte herzustellen. Drittens geht es darum, den Austausch zwischen Arbeitsfeldern, Trägern und Bildungsinstitutionen zu befördern. Themen wie bspw. Akademisierungserfordernisse von Leitungskräften, zukunftsfähige Personalkonzepte, Personalgewinnungsstrategien oder Aspekte des lebensbegleitenden Lernens betreffen alle Arbeitsfelder der Diakonie.

Sie sprechen von lebensbegleitendem Lernen, wo liegt der Unterschied zum lebenslangem Lernen?
Der etablierte Begriff des lebenslangen Lernens unterstellt eine Verwertbarkeit von Lernergebnissen, die – so weiter gedacht – der Arbeitswelt zu Gute kommen soll. Doch Lernen und Bildung sind mehr als Verwertungskriterien eines abzuarbeitenden (Erfolgs-)Kataloges. Lebensbegleitendes Lernen kommt meiner Ansicht nach dem Credo von Lerninhalten und Haltungen, die die Diakonie und die Freie Wohlfahrtspflege vertritt, näher. Mit Blick auf lebensbegleitendes Lernen geht es um Lernformen, Lernarten und Qualifizierungsangebote, die nicht einzig einer Verwertungslogik eines flexibilisierten Arbeitsmarktes entsprechen, sondern vielmehr um Qualifizierungsformen, die mit einer work-learn-life-balance zusammengehen. Die Vereinbarkeit zwischen Berufstätigkeit, Aneignung von Wissen und dem Erschließen verschiedenster Zusammenhänge, Familienleben und auch Eigenzeiten stehen dabei im Mittelpunkt. Mit Blick auf die verschiedenen Lernfelder lässt sich im Kontext des lebensbegleitenden Lernens von einem biographiebegleitenden Lernen sprechen, das sich je nach Lebensphase und Lebensalter in der Methodik, Didaktik und den Bezügen wie Inhalten verändern kann. Versteht man lebensbegleitendes Lernen in der Personalverantwortung umzusetzen, wird Personalbindung und Personalgewinnung gelingen – auch in Zeiten eines prognostizierten Fachkräftemangels.

Kontakt: Dr. Annett Herrmann